Der RC Reuss ist wohl einer der wenigen Schweizer Ruderclubs, der Ruderinnen in seinen Reihen hat, die den Atlantik im Ruderboot überquerten. Diese Topleistung erbrachten Marina Hunziker und Sonja Graf in 75 Tagen.
Text: Roman Oberholzer, Fotos: Atlantic Campaigns, Marina Hunziker, Sonja Graf, Philomena Scheiwiller, Paul Ottiger
Ein Reussstrecker, also eine Wander-Ruderfahrt des RC Reuss, ist im Schnitt 30km lang; die Vogalonga in Venedig, die wohl berühmteste Wander-Ruderfahrt, ist ca. 45km lang – für solche Strecken braucht man zwischen 3 und 5 Stunden. Doch was Marina Hunziker und Sonja Graf unter die Füsse – sorry, in die Ruderblätter – nahmen, hat eine ganz andere Dimension: 5285km, von La Gomera (Kanarische Inseln) über den Atlantik bis nach Antigua in der Karibik!
Eine kleine Delegation des RC Reuss, angeführt von Präsident Andreas Eisenbart und Rudercoach Philomena Scheiwiller, hiess die beiden erfolgreichen Reusslerinnen anfangs März 2022 am Flughafen Zürich Kloten willkommen, zurück in der Schweiz.
Die «Talisker Whisky Atlantic Challenge» ist wohl eines der letzten wahren Abenteuer dieser Erde. Mit ausschliesslich eigener Muskelkraft soll der mächtige Atlantik im Ruderboot bezwungen werden. Während der Überfahrt ist man ganz auf sich selbst gestellt: Essen, Kleider, Notfallset, Navigation ist alles von Anfang an dabei, Reparaturen jeglicher Art müssen selbst behoben werden, ein Eimer ist die Toilette.
Wie kamen Sonja und Marina zu diesem Abenteuer? Aufgrund eines Berufswechsels von der Gastronomie ins Büro fühlte sich Marina körperlich inaktiv, sie wollte wieder vermehrt Sport treiben – und begann zu rudern. Später sah sie eine Dokumentation über die «Talisker Whisky Challenge» mit der Atlantik-Überquerung im Ruderboot – und diese liess sie nicht mehr los. Sie erzählte Sonja, ihrer Freundin, davon, welche sie vor 2 Jahren im Studium kennenlernte. Charaktereigenschaften wie Liebe zur Natur und Tieren, Sturheit oder positives Denken verbanden sie vom ersten Tag an. So beschlossen sie, das Abenteuer zu wagen, denn sie konnten keinen Grund finden, es nicht zu tun.
Und schon kurz danach starteten sie mit den Vorbereitungen auf die Challenge: physisches und psychisches Training, Bootskauf, Absprachen mit dem Arbeitgeber, Sponsorensuche, Bootstransfer auf die Kanarischen Inseln, usw. Umweltschutz wird beim Rennen grossgeschrieben: So wird vor dem Start alles, was im Boot mitgenommen wird, peinlichst ausgebreitet und vom Safety Officer abgezählt und protokolliert. Am Ziel muss dem Officer alles wieder vorgewiesen werden, also zum Beispiel auch leeren Plastikverpackungen von verzehrten Mahlzeiten – nichts darf ins Meer geworfen werden; tut mans trotzdem, wird man gebüsst.
Am 12. Dezember 2021 fiel der Startschuss. Mit viel Lärm und Wasserfontänen wurden die 36 Teams aus der ganzen Welt auf die Reise verabschiedet: raus aus dem Hafen La Gomera ins offene Meer. Die Mannschaften bestanden aus Einer- bis Fünferteams. Aufgrund grösserer Stürme mussten die Boote zuerst nach Süden rudern und konnten erst nach ca. einer Woche Kurs Richtung Westen nehmen. Mehr und mehr zog sich das Feld in die Länge, und ambitionierte Vierer- und Fünferteams setzten sich an die Spitze. Es war dann auch ein Schweizer Männer-Viererboot, «Swiss Raw», das den Atlantik in 34 Tagen, 23 Stunden und 42 Minuten bezwang. Doch wie rudert man 24h am Tag über den Atlantik? Marina und Sonja taten dies abwechslungsweise: Marina ruderte für 2 Stunden alleine, danach Sonja wieder für 2 Stunden. Und dies 24/7. Zusammen gerudert wurde nur am Anfang (um von den Inseln weg zu kommen), am Ende (für den Teamgeist) und wenn die Strömung / Wind zu stark für eine Person waren.
Nach 75 Tagen, 10 Stunden und 6 Minuten erreichten sie unter grossem Applaus ihr Ziel in Antigua. Mit ihrer Atlantiküberquerung unterstützten sie das Hilfswerk «Kovive», das sich um die ergänzende Betreuung und Förderung von armutsbetroffenen und sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen in der Zentralschweiz kümmert. Denn Marina und Sonja sind sich bewusst und dankbar, dass sie eine glückliche Kindheit in der sicheren Schweiz verbringen durften – «Denn jedes Kind verdient eine sichere und liebevolle Kindheit.», wie beide betonen.
75 Tage lang hatten sie keinen Fuss mehr auf Festland gesetzt, und entsprechend schwierig waren auch die ersten Schritte von Marina und Sonja an Land in Antigua, wie Fernsehaufnahmen zeigten. Aber auch die Freude und der Stolz über ihre erbrachte Leistung sah man in ihren Gesichtern. Auch wir gratulieren euch – chapeau!